Volltextsuche auf: https://www.althengstett.de
Volltextsuche auf: https://www.althengstett.de

Abschiedsrede

Abschied 8. Juli 2023

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sehr geehrte Gäste,

danke für den großartigen Abschied, den mir die Gemeinde bereitet. Das macht mir den Abschied leichter und schwerer. Leichter, weil ich den Eindruck habe, dass diese Gemeinde zusammen hält, lebensfreudig ist, vor Energie sprüht. Schwerer, weil es mir meine enge Verbundenheit mit Ihnen bewusst macht. Wenn ich hier in die Gesichter schaue – so viele gute Leute! So viel Tapferkeit! So viel Großmut! So viele persönliche Schicksale mit ihren Leiden und Freuden! Ich spüre eine große Verbundenheit mit Ihnen. Sie sind mir schon arg ans Herz gewachsen! Und Loslassen ist nicht so einfach.

16 Jahre haben wir zusammen erlebt. Das sind wichtige Jahre für jeden und jede einzelne, völlig unabhängig von der Kommunalpolitik. Da wurde geliebt, geheiratet, getrennt, Kinder kamen auf die Welt, liebe Menschen sind gestorben, berufliche Karrieren gingen hinauf und hinunter, Häuser wurden gebaut, Wohnorte gewechselt. Darum möchte ich den heutigen Tag als Tag von uns allen feiern, an dem wir freudig und – hoffentlich – dankbar auf einen Lebensabschnitt zurückschauen können. Mein Abschied ist mehr der äußere Anlass; das Fest ist für uns alle. Aber gerade eben stehe ich hier vorne, und so will ich meine Geschichte erzählen.

Als ich mich 2007 hier beworben habe, ging es vordringlich um ein einziges Thema: Frieden im Flecken. In meiner Bewerbungsrede ich ich übrigens noch zwei weitere Arbeitsziele benannt: Ein gutes Umfeld für die ersten und für die letzten Lebensjahre. In meiner Antrittsrede nach der Wahl sprach ich vom Wunsch des biblischen Königs Salomo: „Gib mir ein hörendes Herz.“ In wie weit mir dies gelungen ist, liegt nicht in meinem Urteil. - Nach dem Wahlkampf mit unzähligen Leserbriefen und erbitterten Diskussionen allerorten hörte ich vor allem – nichts. Es herrschte eine eigenartige Sprachlosigkeit: Die einen waren für meinen Vorgänger, die anderen dagegen, und die dritten standen dazwischen. Und da man keinen Streit mehr wollte, redete man einfach nicht mehr. Aber es war mehr Friedhofsruhe, die Ermattung vor der Weiterführung des Kampfes. Ich habe damals gezielt Altbürgermeister Schanz durch die Benennung des Sportzentrums nach ihm und durch das schöne Buch zu seinem Leben und Wirken wieder in Erinnerung gerufen. Und durch die Entscheidung, das Seniorenheim nicht am Rand, sondern in der Mitte des Ortes zu errichten, ging eine Botschaft aus: Wir nehmen die Schwächsten schützend in unsere Mitte. In dieser Gemeinde kümmert man sich auch dann, wenn es Dir nicht so gut geht. Wir konnten damals durch Glück und Geschick alle Grundstücke westlich der Kirche erwerben und so eine Ortsmitte schaffen. Bis dahin war Althengstett ein Straßendorf, wo alle wichtigen Gebäude entlang der Hauptstraße errichtet waren. Jetzt gab es den ersten öffentlichen Platz in der Geschichte Althengstetts und eine Mitte. Der Gemeinderat ging damals, in den schlimmsten Jahren der Banken- und Weltwirtschaftskrise diesen Weg mit. Althengstett war – ich glaube 2010 – die finanzschwächste Gemeinde des Kreises! Der Hirschgarten wurde 2013 eröffnet. In Ottenbronn erfolgte der Bühnenanbau an die Halle – auch ein Signal dafür, dass es gerecht zugehen sollte, und das kleinste der drei Dörfer genauso gepflegt werden sollte wie das größte. - Kläranlage, Sportzentrum und Mensa, Mehrgenerationenpark, Kita Poststraße sollten folgen; ein neues Ortszentrum in Ottenbronn, Baugebiete vor allem in Ottenbronn und Neuhengstett, die millionenschwere Sanierung der Halle Neuhengstett, das Vorantreiben der Hesse-Bahn. Aber die Baulichkeiten sah und sehe ich immer als nachgeordnet an. Die Menschen zählen! Mancher erinnert sich, wie ich bei einer Neujahrsansprache von den drückenden Ängsten sprach, die mich und wohl alle plagen. Ich machte die Strategien zum Umgang mit Ängsten und Bedrohungen unserer Vorfahren mit dem Säbelzahntiger deutlich. Eine Gesellschaft, die vielfältig ist und zugleich zusammenhält, hält Schwierigkeiten am besten aus – Resilienz heute genannt – und gestaltet am besten ihre Zukunft.

  • Wir haben den ersten Stolperstein des Kreises in Ottenbronn zur Erinnerung an den ermordeten 13jährigen Helmut Großhans gesetzt und mit dem Denkmal für die Liebenden Hedwig Zipperer und Marian Tomczak eine Wunde in der Erinnerung der Gemeinde geheilt. „Es hat sich ein Knoten in der Gemeinde gelöst“ haben Sie Pfarrer Schoch, nach der damaligen Feier gesagt. Ich nenne das „Reinigung der Erinnerung“. Wir haben unsere Erinnerung auch aktiv gepflegt – aus den vielen Maßnahmen nenne ich die größte, das Waldenserareal in Neuhengstett.
  • Wir haben uns entschieden auf die Seite von Eltern und Kindern in den ersten Lebensjahren gestellt: Hausbesuche nach der Geburt, Angebote zum Kennenlernen und zur Begleitung für junge Eltern, ein konsequenter Ausbau der Kleinkindbetreuung, die Gründung des Familienzentrums 2014 – Gruß und Dank an Charlotte Weik, die strukturelle Festigung als „Amt für Bildung, Betreuung, Bürgerengagement“.
  • Wir haben sehr viel am anderen Ende des Lebens getan: Pflegeheim, betreutes oder barrierefreies Wohnen, die Tagespflege gleich nebenan, der Ausbau des Krankenpflegevereins auf die dreifache Größe, die Gründung der Palliativ-Pflege für Sterbende.
  • Wir haben uns intensiv um die Themen Klimaschutz, Verkehr, Nachhaltigkeit gekümmert, hatten den ersten Klimaschutzmanager des Kreises und jetzt die erste Klimaanpassungsmanagerin des Kreises. Dies Impulse kamen ganz stark aus der Bürgerschaft – ein besonderer Dank an Jürgen Arnold – und wurden vom Gemeinderat immer positiv begleitet. Wir haben auch die erste echte Fahrradstraße des Kreises beschlossen – die Umsetzung wird wohl erst mit dem Betrieb der Hessebahn 2025 erfolgen.
  • Wir haben seit 2015 ca. 400 geflüchteten Menschen nicht nur ein Dach angeboten, sondern auch ein Ankommen in unserer Gesellschaft. Das bedeutet ungeheuer viele Einzelgespräche, Kontakte, viele Tassen Tee und Kaffee. Haupt- und Ehrenamtliche leisten Bewundernswertes, halten viele Frustrationen und Enttäuschungen aus, dürfen sich aber auch über viele Erfolge freuen. Stellvertretend für viele nenne ich Claudia de Buhr, Trägerin der Bürgermedaille, und Manfred Schiz als Gründungsvorsitzenden des Vereins. Viele tüchtige Menschen haben so ihren Weg in unsere Gesellschaft gefunden. Die bekanntesten sind die junge Stipendiatin Azita Noori und natürlich vor allem Ryyan Alshebl, jetzt weltbekannter Bürgermeister von Ostelsheim. An dieser Stelle kommt der einzige Werbeblog: Wir brauchen wieder neue Helferinnen und Helfer für die neu Angekommenen!
  • Wir haben die Zahl derer, die – abgesehen von den Kirchen – in Vereinen und Gruppierungen aktiv sind, von ca. 4000 im Jahr 2007 auf 5.500 aktuell gesteigert! Diese Steigerung ist gegen jeden gesellschaftlichen Trend. Dafür war eine großzügige Vereinsförderung, vor allem aber eine „Start-up“-Atmosphäre und Bürgerbeteiligungsprozesse wichtig. So sind viele Vereine gewachsen und andere neu entstanden: Seniorenrat und 55+, der Dorftreff Neuhengstett, die Gruppen im Zukunftsdialog, die Aktivitäten in und ums Rössle in Neuhengstett, und dabei insbesondere die Gesprächskreise der Menschen mit muslimischem Glauben.
  • Wir haben unseren Horizont systematisch erweitert: 2013 wurde die Städtepartnerschaft mit Moutiers-les-Mauxfaits geschlossen. Ich freue mich sehr, den Bürgermeister Christian Aimé, die Vorsitzende des Partnerschaftskomitees Jacqueline Martineau mit ihrem Mann Bernard, die „Europagesandte“ Blandine Martineau und den Architekten der Partnerschaft, den früheren Kollegen Gérard Commailleau mit seiner Frau Anne-Marie, zu begrüßen. Ich empfinde es als große Ehre, dass Ihr diesen weiten Weg gekommen seid! Ich trage heute den Orden, den ich für diese Partnerschaft erhalten habe – eine Partnerschaft, die dank Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger, lebt. Und dank derer, die Verantwortung übernehmen – allen voran Angelika Hener.
  • Wir haben die Entwicklungspartnerschaft mit dem Libanon begonnen und damit unser Althengstett nicht nur zwischen Calw, Sindelfingen und Pforzheim verortet, sondern eine Verbindung in eine andere Welt geschaffen. Vielen Dank, dass Toni El Beik mit seiner Frau Christine gekommen ist, um mit dem künftigen Bürgermeister Rüdiger Klahm über die Zukunft der Partnerschaft zu sprechen, aber auch den heutigen Abschied zu feiern.

Das und vieles andere war möglich, weil so viele Menschen das wollten und sich mit ihrem Herz dafür eingebracht haben. Es war nicht immer alles nur Sonnenschein und Aufbruch ins Neue. Rückschläge, Streit, Müdigkeit, Verletzungen, sogar Gemeinheiten sind Teil des Lebens. Wir brauchen einander, auch indem wir uns wieder aufrichten und stärken. „Der Sturm wird stärker. Ich auch!“ Das kommt von Pippi Langstrumpf, dem stärksten Mädchen der Welt.

Deshalb möchte ich mit einem Dank schließen.

  • Meine Familie: Ich bin da, wo ich bin, und der, der ich bin, dank meiner Familie, auf die ich sehr stolz bin. Nennen möchte ich die, die heute hier sind: Meine Frau Isabel und meine Kinder Theresa, Ben, Judith und Johannes, meine Mutter, mein Bruder Johannes und meine Schwester Elisabeth mit ihrem Mann Florian und meiner Nichte Clara.
  • Dank an Freunde aus der „Vergangenheit“.
  • Dank an meine Amtsleiterinnen und Amtsleiter, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dank an die Mitglieder des Gemeinderats und der Ortschaftsräte. Und für die Ausrichtung dieser außergewöhnlichen Abschiedsfeier ein besonderer Dank an meine Mitarbeiterinnen Frau Stahlhut und Frau Mössner, an meinen Stellvertreter Rainer Kömpf und an den Oberzunftmeister der Narrenzunft Mike Schaller!
  • Dank an die Verantwortlichen in Bildung und Erziehung. Ich habe heute nicht viel darüber gesprochen. Es wäre ein eigenes Thema: Unsere hervorragenden Schulen Gemeinschafts- und Realschule, die drei Grundschulen, die Kindergärten und Kinderkrippen. Ich habe diesen Themen viel Zeit und Energie gewidmet. Ich danke den Schulleitungen und Einrichtungsleiterinnen, die heute alle gekommen sind!
  • Dank an die Verantwortlichen in den Vereinen. Sport, Musik, Kultur. Wie viel Freude und innere Zufriedenheit durch Sie entsteht! Das meiste sieht man ja gar nicht, aber ich möchte – nur aus den letzten Wochen – zumindest das einzigartige Musikerfest und das Straßenfest in Neuhengstett in Erinnerung rufen.
  • Dank an die Verantwortlichen in der Wirtschaft. Ich wollte noch ein Wirtschaftsgespräch im Frühjahr machen – die Zeit hat nicht gereicht, leider. Und ein besonderer Dank an den Gewerbe- und Handelsverein, der so viel bei uns bewegt.
  • Dank an die Menschen, die mir persönlich ihr Vertrauen schenkten und aus ihrer Lebensgeschichte erzählten. Dank an den Franzosen, der einen unbekannten deutschen Vater hatte und davon erzählte. Ich durfte mit dabei sein, als er zum ersten Mal mit seinem Vater Kontakt hatte – am Grab in Hamburg – und seinen Halbbruder treffen konnte. Dank an die Spenderin ihres Hauses an die Gemeinde, dank an die großzügigen Stifterinnen, von deren großzügiger Stiftung die Gemeinde noch viele Jahre schöne Dinge machen kann. Diese Freigiebigkeit wurde geübt im Vertrauen auf mich, dass ich deren gute Verwendung zukunftsfähig organisieren würde.
  • Dank an Sie, Herr Landrat Riegger, Dank an die Kolleginnen und Kollegen im Bürgermeisteramt, Dank an die – entschuldigten – Vertreter in Land und Bund, Dank an die Verwaltungen im Kreis und darüber hinaus. Auch dieser Dank für die Zusammenarbeit wäre natürlich einen größeren Abschnitt wert. Sie haben es heute mehrfach hören können: Althengstett weiß, dass es keine Insel ist. Wir sind dankbar für den funktionierenden Kreis Calw mit allen seinen Leistungen, für die Zusammenarbeit, für die Hilfe. Hesse-Bahn, Krankenhäuser, Breitband, vor allem den ganzen Sozialbereich nenne ich als kurze Stichworte. Und wir in Althengstett leisten auch unseren Beitrag und sind solidarisch.
  • Dank an die Kirchen. Das, was Sie vertreten und was Sie pflegen, den christlichen Glauben: Da komme ich her, da bin ich verwurzelt, und von da schöpfe ich meine Motivation. Den Pfarrer in mir hat man natürlich auch in dieser Rede hören können. Wenn ein Gottesdienst Teil eines großen Festes ist, das weitet sich der Blick von der Bratwurst zur ganzen menschlichen Existenz und darüber hinaus. Damit haben die Bratwurst und das Bier ihre Berechtigung gefunden – im viel, viel größeren Ganzen, das die Grenzen unseres Denkens übersteigt.

Ich schließe mit dem Blick nach vorne: Mein Nachfolger Rüdiger Klahm hat den geschilderten Weg der Gemeinde seit 2009 als Gemeinderat aktiv begleitet und gestaltet. Die nächsten Jahre werden besonders schwer. Aber Verwaltung,  Gemeinderat und Bürgerschaft stehen an Deiner Seite. Ich wünsche Rüdiger Klahm alles Gute und viel Erfolg.

Ich persönlich bleibe natürlich in Althengstett – wo denn sonst? Wo ich mich konkret einbringen werde, wird sich zeigen. Eine kleine Pause ist gut. Vor allem bin und bleibe ich Bürger – Mitbürger! Ich freue mich darauf.

Und Ihnen allen – alles Gute! Althengstett vivat, crescat, floreat –

Althengstett möge leben, gedeihen, blühen!